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Kleinwuchs: Mehr als nur ein paar Zentimeter

von Sandra Michme
Seit gut 11 Monaten wird die 9-jährige Alina in Magdeburg mit Vosoritid behandelt und es konnte bei ihr eine Zunahme der Wachstumsgeschwindigkeit festgestellt werden. Darüber hinaus erfasst Oberärztin Dr. Palm (links) mit ihrem Team alle drei Monate weitere Messdaten wie beispielsweise den Kopfumfang. Foto: Sarah Kossmann/UMMD
Weltweite Zulassungsstudie in Kooperation mit der Universitätskinderklinik Magdeburg belegt bei frühzeitiger Behandlung Wachstumssteigerung durch Medikamententherapie bei Achondroplasie. 
 
Achondroplasie ist eine seltene Erkrankung, bei der genetisch bedingt das Knochenwachstum beeinträchtigt ist und zu einem disproportionierten Kleinwuchs führt. Weltweit sind 250.000 Menschen von diesem Gendefekt betroffen. Bislang konnte die Körpergröße nur durch einen operativen Eingriff, der mit Risiken verbunden ist, verändert werden. Seit 2021 gibt es für Betroffene mit dem Medikament Vosoritid (Voxzogo®, Biomarin International) erstmals eine zielgerichtete Therapieoption, die laut Studiendaten bei 121 Achondroplasie-Patient:innen zu einer Verbesserung des Knochenwachstums führt. Neben Zentren in Australien, USA und Japan ist die Magdeburger Universitätskinderklinik eines der europäischen Studienzentren. Derzeit werden an der Unikinderklinik Magdeburg 24 Kinder und Jugendliche behandelt. Ziel der langfristigen Beobachtungen ist es, neben der reinen Körpergröße auch den Einfluss auf die Disproportionen des Körpers über einen längeren Zeitraum zu untersuchen.
 
Prof. Dr. med. Klaus Mohnike, Leiter des deutschen Achondroplasieregisters und Zentrumsleiter in Magdeburg, erklärt: „Mit Vosoritid ist nun eine Therapie verfügbar, die auf die molekulare Ursache der Achondroplasie abzielt und den Patientinnen und Patienten damit neue Perspektiven bieten kann. Die ersten 5-Jahres-Ergebnisse zeigen ein Wachstumsplus von 9 Zentimetern im Vergleich zu unbehandelten Patientinnen und Patienten.“
 
Bei der Achondroplasie wird die Umwandlung von Knorpel in Knochen verhindert und das Knochenwachstum gehemmt. Dadurch sind vor allem Oberarme und Oberschenkel verkürzt. Auch die Wirbelsäule wächst bei den Betroffenen nicht gleichmäßig und es kommt zu einem disproportionierten Kleinwuchs. Betroffene erreichen eine durchschnittliche Körpergröße von 125 bis 130 Zentimetern. Die Ursache ist eine krankhafte Veränderung (Punktmutation) in dem Gen für den Fibroblastenwachstumsfaktor-Rezeptor (FGFR-3). Diese sorgt für eine Daueraktivierung des Signalweges. In der Folge erhalten die Knorpelzellen in der Wachstumsfuge des Knochens falsche Wachstumssignale.
 
Der Alltag von Achondroplasie-Betroffenen ist durch den Kleinwuchs deutlich eingeschränkt und wird durch zahlreiche Folgeerscheinungen wie eine verkleinerte Schädelbasis mit hochgradiger Enge des Hinterhauptslochs und Rückenmarkskompression sowie einer Enge des Wirbelkanals mit einhergehenden Rücken- und Beinschmerzen begleitet. Die Wachstumsstörung der Schädelbasisknochen führt zu chronischen Erkrankungen im HNO-Bereich. Eine obstruktive Schlafapnoe, Ateminsuffizienz und erhöhte Sterblichkeit in den ersten Lebensjahren sind ebenfalls eine Folge. „Bisherige operative Behandlungsoptionen stellen für die Betroffenen eine erhebliche Belastung dar“, erläutert der Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin mit dem Schwerpunkt für Endokrinologie. Prof. Mohnike befasst sich seit über 40 Jahren und mittlerweile auch über seinen Ruhestand hinaus gemeinsam mit Oberärztin Dr. med. Katja Palm und dem Team der Kinderklinik mit der Erkennung und Behandlung seltener Wachstumsstörungen. „Seit Marktzulassung zeigt das Medikament auch außerhalb klinischer Studien eine gute Verträglichkeit und Wirksamkeit. Wir erwarten neben einem signifikanten Längenwachstum, dass wir einem Teil der Betroffenen in Zukunft belastende operative Eingriffe ersparen können“, so Prof. Dr. Mohnike.
 
Studiendaten
 
In einer randomisierten, doppelblinden, Placebo-kontrollierten 52-wöchigen Studie erhielten 121 Achondroplasie-Patient:innen zwischen 5 und 18 Jahren täglich 15 Mikrogramm pro Kilogramm Körpergewicht Vosoritid subkutan. Die Kinder in der Verumgruppe wuchsen in einem Jahr durchschnittlich 1,57 Zentimeter mehr als in der Placebogruppe. Dabei wuchsen die Knochen der Wirbelsäule und der Extremitäten proportional. Die häufigsten Nebenwirkungen waren Reaktionen an der Einstichstelle (85 %, bei Placebo 82 %), Hypotonie (13 %) und Erbrechen. Die Studie wurde das Pharmaunternehmen Biomarin International finanziert.
 
Publikationen:
·         Savarirayan R, Irving M, Harmatz P, et al. Growth parameters in children with achondroplasia: A 7-year, prospective, multinational, observational study. Genet Med 2022. DOI: 10.1016/j.gim.2022.08.015.
·         Savarirayan R, Tofts L, Irving M, et al. Safe and persistent growth-promoting effects of vosoritide in children with achondroplasia: 2-year results from an open-label, phase 3 extension study. Genet Med 2021. DOI: 10.1038/s41436-021-01287-7.
·         Hoover-Fong J, Cheung MS, Fano V, et al. Lifetime impact of achondroplasia: Current evidence and perspectives on the natural history. Bone 2021;146:115872. DOI: 10.1016/j.bone.2021.115872.
·         Cormier-Daire V, AlSayed M, Ben-Omran T, et al. The first European consensus on principles of management for achondroplasia. Orphanet J Rare Dis 2021;16(1):333. DOI: 10.1186/s13023-021-01971-6.

Hintergrund                                                                              
Vosoritid (Voxzogo®) ist ein modifiziertes rekombinantes Analogon des C-Typ-natriuretischen Peptids (CNP) und ein positiver Regulator des enchondralen Knochenwachstums. Voxzogo® ist indiziert für die Behandlung von Achondroplasie bei Patienten ab 2 Jahren, deren Epiphysen nicht geschlossen sind. Die Diagnose der Achondroplasie sollte durch entsprechende genetische Tests bestätigt werden.
Produktinformation: https://www.ema.europa.eu/en/documents/product-
information/voxzogo-epar-product-information_en.pdf.
 
Kontakte:
Prof. Dr. med. Klaus Mohnike, Leiter des Mitteldeutschen Kompetenznetzes Seltener Erkrankungen, E-Mail: Klaus.Mohnike@med.ovgu.de, Tel.: 0391/67 24024.
 
Dr. med. Katja Palm, Pädiatrische Endokrinologin und Oberärztin der Universitätskinderklinik Magdeburg, E-Mail: katja.palm@med.ovgu.de, Tel.: 0391/67 24024.