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Schizophrenie und das Immunsystem: Meta-Analyse zeigt klare Zusammenhänge
von
Sandra Michme
Die Analyse von Routine-Blutuntersuchungen aus 64 Studien mit über 42.000 Personen unter der Leitung eines Forschungsteams der Universitätsmedizin Magdeburg bestätigt die Bedeutung von Entzündungsprozessen für die Erkrankung.
Eine neue, umfassende Meta-Analyse, veröffentlicht in JAMA Psychiatry, liefert überzeugende Belege für die Immunhypothese der Schizophrenie. Ein Forschungsteam unter der Leitung von Prof. Dr. med. Johann Steiner von der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Magdeburg fand heraus, dass Patientinnen und Patienten mit Schizophrenie im Vergleich zu gesunden Menschen signifikante Veränderungen bei den weißen Blutkörperchen aufweisen – insbesondere bei den neutrophilen Granulozyten und Monozyten, die eine Schlüsselrolle in der Immunabwehr spielen.
Besonders bemerkenswert: Die Ergebnisse beruhen nicht auf komplexen Spezialuntersuchungen, sondern auf der Auswertung von Routine-Blutuntersuchungen (Differenzialblutbild) – also Laborwerten, die auch in der klinischen Praxis standardmäßig erhoben werden.
Erhöhte Immunzellen: Mehr als nur Stress oder Rauchen
Epidemiologische Studien aus Dänemark, insbesondere aus der Forschungsgruppe von Prof. Michael Benros, hatten bereits gezeigt, dass schwere bakterielle Infektionen das Risiko für Schizophrenie und affektive Störungen signifikant erhöhen können. Die nun veröffentlichte Meta-Analyse bestätigt, dass das Immunsystem bei Schizophrenie eine zentrale Rolle spielt.
Eine Original-Studie von Steiner et al. (DOI: 10.1093/schbul/sbz068) hatte bereits gezeigt, dass der Anstieg der neutrophilen Granulozyten in der akuten Krankheitsphase tatsächlich mit der Erkrankung selbst zusammenhängt – und nicht bloß eine Begleiterscheinung von Stress (erhöhte Stresshormone) oder dem häufigeren Zigarettenkonsum bei Menschen mit Schizophrenie ist.
„Unsere Ergebnisse stützen das Vulnerabilitäts-Stress-Modell: Menschen mit einer genetischen oder entwicklungsbedingten Anfälligkeit (Vulnerabilität) haben ein erhöhtes Risiko, an Schizophrenie zu erkranken. Bestimmte Stressfaktoren wie psychische Belastungen oder auch bakterielle Infektionen können dann als Auslöser (Stressoren) fungieren und die Krankheit zum Ausbruch bringen“, erklärt Prof. Steiner.
Die Ergebnisse zeigen, dass insbesondere in frühen Krankheitsstadien sowie bei noch unmedizierten Patientinnen und Patienten die Zahl der neutrophilen Granulozyten und Monozyten signifikant erhöht ist.
Blutwerte als Fenster in das Krankheitsgeschehen
Neutrophile Granulozyten sind Immunzellen, die als erste auf Infektionen reagieren und Krankheitserreger wie Bakterien bekämpfen. Auch Monozyten steuern in frühen Phasen die Entzündungsreaktionen und beseitigen Krankheitserreger, wohingegen Lymphozyten erst später im Rahmen der Immunabwehr zum Einsatz kommen.
Ein wichtiger klinischer Befund der Meta-Analyse ist, dass nach einer erfolgreichen antipsychotischen Behandlung akuter Psychosen die Anzahl der neutrophilen Granulozyten sank. Dies ist ein Hinweis darauf, dass Antipsychotika nicht nur auf Neurotransmitter-Rezeptoren im Gehirn wirken, sondern möglicherweise auch eine entzündungshemmende Wirkung haben können. Dies ist bei Medikamenten wie Clozapin und Olanzapin vorbeschrieben und könnte zu ihrer überlegenen Wirksamkeit beitragen.
„Morgenröte der Genesung“
Zusätzlich beobachteten die Forschenden einen Anstieg der eosinophilen Granulozyten, einer weiteren Untergruppe der weißen Blutkörperchen, nach erfolgreicher Behandlung. Dieser Effekt wurde bereits vor über 100 Jahren von Paul Ehrlich als „Morgenröte der Genesung“ beschrieben und könnte darauf hindeuten, dass sich das Immunsystem nach überstandener akuter Erkrankung wieder normalisiert.
[Anmerkung: Der Name der eosinophilen Granulozyten bezieht sich auf den Farbstoff Eosin, mit dem sie angefärbt werden können („eos“ = altgriechisch Morgenröte)]
Routine-Blutwerte mit Potenzial für die klinische Praxis
Da die untersuchten Blutwerte aus Routine-Blutuntersuchungen stammen, könnten diese Erkenntnisse künftig helfen, den Krankheitsverlauf besser zu verstehen.
„Unsere Ergebnisse zeigen an einer sehr großen Patientenzahl, dass insbesondere das sogenannte unspezifische bzw. angeborene Immunsystem in akuten Krankheitsphasen der Schizophrenie eine Rolle spielt. Bei Erkrankungen wie Multipler Sklerose und Morbus Alzheimer wurde inzwischen gezeigt, dass neutrophile Granulozyten in sehr frühen Krankheitsstadien eine Rolle spielen und Neurodestruktion verursachen können. In Zukunft wollen wir deshalb mittels maschinellen Lernens herausfinden, ob solche Prozesse auch bei Schizophrenie mit neutrophilen Granulozyten verbunden sind. Dies könnte helfen, Ideen für immunmodulatorische und neuroprotektive Therapien als wichtige Ergänzung der bisherigen Behandlung zu entwickeln“, so Prof. Steiner.
Die vollständige Publikation ist unter folgender DOI-Nummer verfügbar: DOI: 10.1001/jamapsychiatry.2024.4941
Eine neue, umfassende Meta-Analyse, veröffentlicht in JAMA Psychiatry, liefert überzeugende Belege für die Immunhypothese der Schizophrenie. Ein Forschungsteam unter der Leitung von Prof. Dr. med. Johann Steiner von der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Magdeburg fand heraus, dass Patientinnen und Patienten mit Schizophrenie im Vergleich zu gesunden Menschen signifikante Veränderungen bei den weißen Blutkörperchen aufweisen – insbesondere bei den neutrophilen Granulozyten und Monozyten, die eine Schlüsselrolle in der Immunabwehr spielen.
Besonders bemerkenswert: Die Ergebnisse beruhen nicht auf komplexen Spezialuntersuchungen, sondern auf der Auswertung von Routine-Blutuntersuchungen (Differenzialblutbild) – also Laborwerten, die auch in der klinischen Praxis standardmäßig erhoben werden.
Erhöhte Immunzellen: Mehr als nur Stress oder Rauchen
Epidemiologische Studien aus Dänemark, insbesondere aus der Forschungsgruppe von Prof. Michael Benros, hatten bereits gezeigt, dass schwere bakterielle Infektionen das Risiko für Schizophrenie und affektive Störungen signifikant erhöhen können. Die nun veröffentlichte Meta-Analyse bestätigt, dass das Immunsystem bei Schizophrenie eine zentrale Rolle spielt.
Eine Original-Studie von Steiner et al. (DOI: 10.1093/schbul/sbz068) hatte bereits gezeigt, dass der Anstieg der neutrophilen Granulozyten in der akuten Krankheitsphase tatsächlich mit der Erkrankung selbst zusammenhängt – und nicht bloß eine Begleiterscheinung von Stress (erhöhte Stresshormone) oder dem häufigeren Zigarettenkonsum bei Menschen mit Schizophrenie ist.
„Unsere Ergebnisse stützen das Vulnerabilitäts-Stress-Modell: Menschen mit einer genetischen oder entwicklungsbedingten Anfälligkeit (Vulnerabilität) haben ein erhöhtes Risiko, an Schizophrenie zu erkranken. Bestimmte Stressfaktoren wie psychische Belastungen oder auch bakterielle Infektionen können dann als Auslöser (Stressoren) fungieren und die Krankheit zum Ausbruch bringen“, erklärt Prof. Steiner.
Die Ergebnisse zeigen, dass insbesondere in frühen Krankheitsstadien sowie bei noch unmedizierten Patientinnen und Patienten die Zahl der neutrophilen Granulozyten und Monozyten signifikant erhöht ist.
Blutwerte als Fenster in das Krankheitsgeschehen
Neutrophile Granulozyten sind Immunzellen, die als erste auf Infektionen reagieren und Krankheitserreger wie Bakterien bekämpfen. Auch Monozyten steuern in frühen Phasen die Entzündungsreaktionen und beseitigen Krankheitserreger, wohingegen Lymphozyten erst später im Rahmen der Immunabwehr zum Einsatz kommen.
Ein wichtiger klinischer Befund der Meta-Analyse ist, dass nach einer erfolgreichen antipsychotischen Behandlung akuter Psychosen die Anzahl der neutrophilen Granulozyten sank. Dies ist ein Hinweis darauf, dass Antipsychotika nicht nur auf Neurotransmitter-Rezeptoren im Gehirn wirken, sondern möglicherweise auch eine entzündungshemmende Wirkung haben können. Dies ist bei Medikamenten wie Clozapin und Olanzapin vorbeschrieben und könnte zu ihrer überlegenen Wirksamkeit beitragen.
„Morgenröte der Genesung“
Zusätzlich beobachteten die Forschenden einen Anstieg der eosinophilen Granulozyten, einer weiteren Untergruppe der weißen Blutkörperchen, nach erfolgreicher Behandlung. Dieser Effekt wurde bereits vor über 100 Jahren von Paul Ehrlich als „Morgenröte der Genesung“ beschrieben und könnte darauf hindeuten, dass sich das Immunsystem nach überstandener akuter Erkrankung wieder normalisiert.
[Anmerkung: Der Name der eosinophilen Granulozyten bezieht sich auf den Farbstoff Eosin, mit dem sie angefärbt werden können („eos“ = altgriechisch Morgenröte)]
Routine-Blutwerte mit Potenzial für die klinische Praxis
Da die untersuchten Blutwerte aus Routine-Blutuntersuchungen stammen, könnten diese Erkenntnisse künftig helfen, den Krankheitsverlauf besser zu verstehen.
„Unsere Ergebnisse zeigen an einer sehr großen Patientenzahl, dass insbesondere das sogenannte unspezifische bzw. angeborene Immunsystem in akuten Krankheitsphasen der Schizophrenie eine Rolle spielt. Bei Erkrankungen wie Multipler Sklerose und Morbus Alzheimer wurde inzwischen gezeigt, dass neutrophile Granulozyten in sehr frühen Krankheitsstadien eine Rolle spielen und Neurodestruktion verursachen können. In Zukunft wollen wir deshalb mittels maschinellen Lernens herausfinden, ob solche Prozesse auch bei Schizophrenie mit neutrophilen Granulozyten verbunden sind. Dies könnte helfen, Ideen für immunmodulatorische und neuroprotektive Therapien als wichtige Ergänzung der bisherigen Behandlung zu entwickeln“, so Prof. Steiner.
Die vollständige Publikation ist unter folgender DOI-Nummer verfügbar: DOI: 10.1001/jamapsychiatry.2024.4941