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Vom Widerstand zur Legitimation: Die veränderte Rolle des Humors in der Politik

Projektbearbeiter:
Alexander Spencer
Finanzierung:
Haushalt;
Das Phänomen des Humors steht an der Schnittstelle von Politik, Kultur und Gesellschaft. Praktiken des Humors sind ein wesentlicher Aspekt der Kultur, der sowohl als eine Form der Kritik an und des Widerstands gegen die Politik als auch als eine Form der Legitimation der Politik durch die politische Elite genutzt werden kann, um die Unterstützung der Öffentlichkeit zu gewinnen. Die vorgeschlagene Sonderausgabe wird sich mit der Frage beschäftigen, wie Humor Kultur, Politik und Gesellschaft miteinander verbindet und wie die Praktiken des Humors als Mittel des Widerstands gegen und der Legitimation von politischer Macht in Gesellschaften eingesetzt werden. Das Sonderheft wird sich mit dem Thema Humor aus einer interdisziplinären Perspektive befassen und internationale Wissenschaftler einbeziehen, die Fragen zur Politik des Humors aus verschiedenen Disziplinen wie Politikwissenschaft, Philosophie, Soziologie und Rechtswissenschaften untersuchen, um die Funktionen von Humorpraktiken als Mittel des Widerstands und der Legitimation von Macht herauszuarbeiten.

Die Sozialwissenschaften haben in jüngster Zeit die komische Seite der Politik als ein Thema entdeckt, das wissenschaftliche Aufmerksamkeit verdient, und in den letzten Jahren ist ein wachsendes Interesse an Humor in einer Reihe von Disziplinen zu verzeichnen. Das Sonderheft "Humour and Global Politics" in Global Society von Brassett, Browning und Wedderburn (2021) kann als Ausgangspunkt für die Erforschung des Einsatzes von Humor auf internationaler Ebene in der Politik angesehen werden. Erst kürzlich wurde in der Sonderausgabe "The politics and aesthetics of humour in an age of comic controversy" von Nieuwenhuis und Zijp (2022) im European Journal of Cultural Studies eine "Re-Politisierung des Humors" im 21ten Jahrhundert festgestellt. Unsere Sonderausgabe baut daher auf diesen Ideen auf und konzentriert sich auf die (Re-)Politisierung und die Frage des Widerstands gegen und der Legitimation von Politik in der Gesellschaft. Darüber hinaus werden die miteinander verknüpften und widersprüchlichen Tendenzen der Abwesenheit von Humor sowie seine Verbreitung in neuen politischen Umgebungen wie autoritären Kontexten beleuchtet.

Humor wird seit langem mit Widerstand und als Waffe der Schwachen assoziiert (Fluri 2019) und daher werden ihm überwiegend positive Eigenschaften zugeschrieben (Billig 2005). Dieser Tradition folgend wurde Humor als revolutionär angesehen und erst in den letzten Jahren rückt eine zunehmend konterrevolutionäre und konservative Rolle des Humors aufgrund seiner entmutigenden (Brock 2018) und verschleiernden Wirkung (Beck und Spencer 2021; Brassett et al 2021) in den Fokus. Gerade in Zeiten von Unsicherheit, Krise und Autokratisierung werden Verschiebungen für den Einsatz von Humor von unterhaltsamen zu ernsthaften Mitteln und von Zensur zu instrumentalisiertem Humor als Politikstil sichtbar. In dieser gegenwärtig scheinbar verkehrten Welt ist eine Neubewertung erforderlich. Daher ist diese Sonderausgabe besonders an Fällen interessiert, in denen Humor gegen alle Widerstände eingesetzt wird oder wenn die üblichen Erwartungen nicht erfüllt werden. Während man vielleicht lustige Late-Night-Moderatoren erwartet, zeigt unser Band stattdessen ernsthafte Entertainer und lustige Diktatoren. Durch die Betrachtung von (Un-)Komik gegen alle Widerstände leistet der Band somit einen Beitrag zum zentralen Spannungsfeld zwischen Humor, Kritik und Legitimität.

Die Humorforschung interessiert sich zunehmend für die Strategien von Satire und Komik, die bei der Transformation der Öffentlichkeit und der Selbstdarstellung neuer autoritärer und populistischer Führer eine Schlüsselrolle spielen. In den letzten Jahren konnte beobachtet werden, wie Humor in demokratischen Kontexten zu einer Strategie der Mächtigen wird. Politiker verhalten sich oft wie Entertainer, die mit Humor von ihren eigenen Fehlern ablenken wollen. In Krisenzeiten wird die Rolle von Komikern und lustigen Politikern sehr ambivalent. Während einige Komiker eher ernsthaft sind, werden andere selbst zu politischen Akteuren. Aufgrund ihrer Professionalität stellen sie das Rechtssystem auf die Probe und fordern es heraus, wie politische Akteure, die zuvor Komiker waren, zeigen. Hier sind die Grenzen des Humors und die Möglichkeiten des Gesetzes gegen Hassreden von Interesse, wenn Humor im Spiel ist.

Die in dieser Sonderausgabe beobachteten Verschiebungen sind mehrdeutig. Bestimmte Praktiken und Formen des Humors sind der politischen Macht immanent, selbst in Regimen, in denen sie nicht erwartet werden. Während autoritäre Regime eine begrenzte Toleranz gegenüber Witzen auf ihre eigenen Kosten haben, scheint es den Trend zu geben, dass selbst Diktatoren strategischen Humor für ihre Zwecke nutzen: Durch die Beschuldigung von Gegnern und die Verbreitung von Fake News. Der Wert des Humors für eine liberale öffentliche Kultur und eine ethisch-moralische Grundhaltung ist von philosophischem Interesse. Gleichzeitig provoziert der Anstieg des illiberalen Gebrauchs von Humor eine moralistische Kritik an solch geschmacklosem Humor. Die sich verändernde Landschaft des Humors in der Politik bringt auch die Notwendigkeit mit sich, über ethische Fragen nachzudenken. Eine weitere Veränderung betrifft die Rolle des Humors in Debatten darüber, was ein menschliches Subjekt ausmacht und wer entmenschlicht wird. Die Eigenschaft, humorvoll zu sein, ist sehr begehrt und wird nur unabhängigen menschlichen Subjekten zugeschrieben. Dieses Spannungsverhältnis zeigt sich auch in der Skandalisierung entmenschlichter Subjekte, die sich am Humor erfreuen und die normalerweise nicht mit dem Witz in Verbindung gebracht werden.

Insgesamt soll die Sonderausgabe zu diesem gesteigerten Interesse beitragen, indem sie Beiträge internationaler Wissenschaftler zusammenbringt, die die neue Rolle und Funktion des Humors in der öffentlichen Kultur und Politik untersuchen. Die folgenden Fragen sind daher von zentralem Interesse für die Sonderausgabe:

  • Wie trägt Humor zur Verunsicherung und (De-)Legitimation von (politischen) Ideen bei?
  • Wie wird Humor von den Mächtigen in Politik, Gesellschaft und verschiedenen Organisationsformen als eine Form der Abwehr/Isolation gegen Kritik eingesetzt?
  • Welche Rolle spielt der Moralismus in Zeiten, in denen Humor im Übermaß illiberal eingesetzt wird? Wer darf lachen und Humor genießen?
  • Wie funktioniert Humor in Zeiten der Krise? Verringert oder erhöht politischer Humor Unsicherheit und ontologische Sicherheit?
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